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The Bazar is Open oder ich parshippe jetzt

„Versuch´s doch mal im Internet. Das machen doch heute alle.“ Dieser gut gemeinte Vorschlag meiner, alle bereits vor der Silberhochzeit stehenden Freundinnen, klappert in meinem Kopf herum. Es ist Sonntag, der Lieblingstag aller Singles. Niemand hat Zeit. Egal, wo man hingeht, lauter glückliche Kleinfamilien und Paare.

 

Also klappe ich meinen Laptop auf. „Beliebte Singlebörsen“ und in weniger als zwei Sekunden tut sich eine neue Welt auf. Wer allein ist, scheint selber schuld oder einfach nur zu blöd, einen Computer zu benutzen. Tausende von attraktiven, niveauvollen Singles, quasi zum bestellen aus dem Internet. Amazon Prime für neue Partner. 

 

In Ermangelung von Erfahrung nehme ich das, was die meiste Werbung macht und lege ein Profil an, auf das ich auch „parshippen“ kann. Nach zwei Stunden, 28 Gewissensprüfungen, ob ich nun die ehrliche oder die schöne Antwort eintippen soll und dem panischen Durchsuchen meiner Bilddateien nach aussagekräftigen Fotos, die möglichst authentisch, aber dennoch ohne Bauchspeck zeigen, wie toll, sportlich und natürlich ich bin, ist mein Profil im Netz. Noch schnell den Vertrag für sechs Monate abgeschlossen, damit ich die Bilder der anderen auch sehen kann und „the bazar is open“. 

 

Fast, denn irgendwie hatte ich mir das anders vorgestellt. Stimmt etwas nicht mit den präzise gestellten Anforderungen an meine Zielgruppe oder warum schreiben mir nur Rentner? Zwischen 50 und 55, war doch eine klare Angabe. Nicht zwischen 60 und 75. Also nochmal in den Teil für allgemeine Ratschläge zum Profil.

 

Ahhh, da steht es. Einer von vielen Artikeln mit Tipps für Frauen. Und was da steht, ist so wie das echte Leben. „Frauen ab 45 sollten, um Enttäuschungen vorzubeugen, ihre angesprochene Altersgruppe eher etwas höher setzten. Männer orientieren sich um die 50 gerne im Alter nach unten und wollen oft noch mal eine neue Familie gründen. Zudem blickt ein Anteil von ungefähr 20% der Frauen Mitte 30 eher auf die schon gut situierten Männer um die 50. Wenn sie älter als 45 und weiblich sind, fassen sie ihre Zielgruppe lieber deutlich weiter, damit sie Erfolg mit ihrer Suche haben.“

 

Super. Da ist sie wieder, die sogenannte „biographische Umkehr“. Männer werden reifer, Frauen einfach älter. Wer also ab Mitte 40 nicht mit dem eigenen Mann über die der Gravitation und dem Collagenmangel geschuldeten Konturaufweichungen auf beiden Seiten lachen kann, darf ein paar Semester überspringen und direkt zu den Potenzstörungen wechseln. 

 

Und jetzt? Ausprobieren. 

 

Also der, der mit den meisten „Matchingpunkten“ und der in der Nähe wohnt. Ich verabrede mich möglichst unverfänglich im Café. 

 

Was mache ich, wenn direkt klar ist, dass der rüstige Mittsechziger nix für mich ist? Was, wenn völlig klar ist, dass ich ihm nicht gefalle? Wie kommt man aus der Nummer wieder raus? Keine Ahnung … geht wahrscheinlich nur offensiv. 

 

Es ist nicht viel los im besagten Café um die Mittagszeit. Gute Zeit. Ein ganzer Abend mit beklemmendem Schamgefühl ist deutlich schlechter auszuhalten. 

 

Und, da sitzt der alleinstehende Herr mit Hund. 

 

Wow, wie sehr Profilbilder lügen können … oder habe ich nicht genau hingeschaut? Das einzige Foto ohne Profisportausrüstung, die mehr verhüllte als zeigte, war ein unscharfes Urlaubsbild, das den Blick auf den karibischen Hintergrund lenkte. Da hatte es offensichtlich gut dran getan. 

 

Klar, es gibt jede Menge Männer, die eher gewinnen, wenn die Natur ihre Züge herber werden lässt, auch das männliche Bindegewebe erschlafft um einiges später, schütteres Haar läßt sich gut dadurch kaschieren, dass man sich für gar keines mehr entscheidet und den Charakterkopf mit all seinen Ecken präsentiert, aber das hier war nicht diese Art von Mann.

 

Jetzt nur keine Vorurteile, schrie meine innere Stimme. Du siehst auch nicht mehr aus wie 30! 

 

Das was danach kam, zählt zu den Erfahrungen, die mir einen neuen Blick auf meinen Lebensabschnitt ermöglicht haben. Der wirklich ältere Herr ließ nicht im Unklaren, dass es keine Zeit zu verschwenden gäbe, mit all dem was ich bestimmt nicht mit ihm tun wollte. Und mir ist sehr deutlich geworden, dass ich bei aller Liebe zur Digitalisierung, hier vollständig analog bleiben möchte. Sehen, Riechen, ersten Eindruck haben und dann entscheiden in welche Richtung das Gespräch gehen könnte und nicht umgekehrt. Und, dass mehr oder weniger einsame Sonntage sehr viel kreatives Potential haben. 

 

Mein Abo habe ich direkt wieder gekündigt.