Alkohol ist aus unserer Gesellschaft so gut wie nicht wegzudenken. Jede Kultur hat ihre Rauschmittel und auch, wenn wir die Kokablätter der Indios als Drogenkonsum betrachten, ist die abendliche Flasche Wein dem Wesen nach nichts anderes. Also bringt man seinen halbwüchsigen Kindern wohl am besten den richtigen Umgang damit bei.
Klingt logisch oder?
Nur, was ist der richtige Umgang damit ? Sieht man mal von denjenigen ab, die entweder früh an Leberzirrhose verstorben sind oder zum Mittagessen immer noch das gute alte Handwerkergedeck aus Kölsch und Korn runter kippen, sind die Übergänge zur Sucht so fließend, dass sie uns oft im engen Umfeld nicht auffallen. Und, wie vermittelt das eine Mutter, die in ihrem ganzen Leben vielleicht 20 mal betrunken war, weil sie nix verträgt und so stets allen als verläßliche Fahrerin dient?
Meine Vorstellungen davon sind also eher eng gefaßt und eigentlich war ich mir recht sicher, dass ich noch etwas Zeit hatte. Weit gefehlt.
Auch mit 15 ist im Rheinland schon Karneval. Also sah ich mich gezwungen zu agieren. „Zwei Flaschen Mischgetränk“, diese Plörre aus Cola mit Kirschgeschmack und Bier, war die mütterliche Ansage. Nur an Weiberfastnacht, jede weitere Karnevalsaktivität dann „ohne“.
Netter Versuch.
Hatte ich mich an besagtem Donnerstag, der im Rheinland zu den höchsten Feiertagen zählt, noch in Sicherheit gewogen und mir innerlich auf die Schulter geklopft, musste ich bereits drei Tage später meine Grenzen neu überdenken.
„Mama, die Karnevalsdisco im Bürgerhaus ist heute Abend. Da gehen alle hin, darf ich auch?“, fragte mein Sohn ganz unschuldig. „Klar, warum nicht. Um neun bist du wieder zu Hause.“ „Kannst du mich hinfahren und vielleicht Simon, Nico und Ben mitnehmen? Die kommen nach dem Umzug hierhin“. „Klar.“ Rhetorische Pause. „Hmmm, das fängt aber erst um halb neun an.“ „Okay, ausnahmsweise. Um zehn hole ich dich ab.“ „Brauchst du nicht, wir schlafen bei Jona.“
Viertel nach acht klingelt es an unserer Haustür. Vier, statt der angekündigten drei Teenager stehen draußen. Ich überlasse es der Phantasie des Lesers, wie mein kleiner SUV fünf Teenager plus eine Fahrerin in den Nachbarort gebracht hat, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln um diese Zeit nicht mehr zu erreichen ist.
Schnell ist klar, dass beim Karnevalszug gucken am Nachmittag, der Konsum von Süßigkeiten nicht mehr das Hauptinteresse der kleinen Gruppe war. Es riecht nach Bier in meinem Auto. Doll! Mit meinen zwei Flaschen Mischgetränk an Weiberfastnacht stehe ich offensichtlich in der Elternschaft etwas einsam da. In einem Anfall von gebeugter Toleranz erlaube ich für diesen Abend noch einmal zwei Flaschen Bier, diesmal echtes.
Vor der Halle angekommen, erklären mir meine Fahrgäste, dass es eigentlich erst gegen zehn richtig lustig wird und alle anderen bis zwölf dürfen. Auf dem Weg nach Hause merke ich, dass ich meinem 15jährigen Sohn nicht nur erlaubt habe, zwei Flaschen echtes Bier zu trinken, sondern auch am Karnevalssonntag einer abendlichen Dorfdisco bis Mitternacht beizuwohnen.
Wohl ist mir dabei nicht, aber was soll schon passieren. Die anderen Jungs aus seiner Klasse dürfen das ja auch, wir sind auf dem Dorf und es gibt eine Übernachtungsmöglichkeit bei der Mutter des besten Freundes.
Ich fange an mich zu beruhigen und setze mich zu Hause vor die Wiederholung eines Tatortes. Um zwanzig vor zehn klingelt mein Telefon. „Ist das abgesprochen, dass die Jungs bei dir schlafen?“, höre ich den Vater besagter Übernachtungsmöglichkeit in meinem Telefon sagen. „Nö. Mit mir ist abgesprochen, dass mein Sohn und dein Sohn bei deiner Exfrau schlafen.“ Schweigen. Langes Schweigen. „Die hat mich gerade angerufen und ist stinkwütend, weil Jona um neun zu Hause sein sollte, alleine.“
Super.
„Okay. Ich rufe jetzt an, hole die beiden direkt ab, bringe Jona zu seiner Mutter und ruf ich dich wieder an.“
Zehn vergebliche Versuche später, an denen sich je fünfmal die Mailbox meines Sohnes oder die seines besten Freundes gemeldet hat, muss ich quer denken. “Kannst du bitte versuchen irgendeinen von den Jungs anzurufen, du hast doch deren Nummer. Es ist wichtig!“, sage ich zu meiner Tochter.
Gute Idee, denke ich. Da erscheint auch nicht meine Nummer auf dem Display. Mittlerweile ist es kurz nach Zehn. „Mama, ich kann nur Simon erreichen. Der ist jetzt hier am Telefon und hat ein viel größeres Problem.“
Pulsrasen, beruhigen. „Was für ein größeres Problem?“
„Er ist ´nen Kopf kleiner als die anderen und die Ordner haben ihn als Einzigen um 22:00 Uhr aus der Halle geworfen, wegen Jugendschutz und so.“ Noch mehr Pulsrasen. „Jetzt ist der ganz alleine da vor der Halle und weiß nicht was er machen soll. Die anderen sind alle drin und er darf nicht mehr rein.“ „Leg auf und versuch jemanden drin zu erreichen.“ „Das geht nicht Mama, Simon hat Angst. Er ist betrunken und weiß nicht was er jetzt machen soll.“
Scheiße. Eng-amKopf-sein zeigt wieder mal massenhaft Vorzüge. In diesem Moment geht mein Sohn endlich ans Telefon. Hört sich nüchtern an. Ich schildere ihm sehr deutlich, die entstandene Situation, bitte ihn, sich um Simon zu kümmern, der draußen wartet und mache einen Treffpunkt außerhalb der Halle aus, an dem ich ihn und seinen Freund abholen werde. „Mama, Simon ist wieder drin!“ ruft meine Tochter freudestrahlend von unten. Nochmal tief Durchatmen. Ich fahre los. Einer Eingebung folgend, greife ich im Flur zu drei Plastiktüten und finde mich dabei etwas überspannt.
Das soll sich bald legen.
Am Treffpunkt angekommen, sehe ich nicht nur meinen Sohn und seinen besten Freund, sondern alle Jungs, die ich auch hingefahren hatte. „Mamaaaaaa, können die anderen auch mit? Die wissen sonst nicht wie sie hier wegkommen sollen.“ Klasse Orga. „Ja klar.“, höre ich mich sagen, ich überlasse doch keinen betrunkenen Teenager den Fährnissen der Karnevalsnacht.
Nachdem alle im Auto verstaut sind, verteile ich an die mit der meisten Schlagseite die Tüten, wobei ich mir den, der am gefährdetsten aussieht, auf den Beifahrersitz setze. Bereits nach einem Kilometer steuere ich eine Bushaltestelle an, damit die erste benutzte Tüte in deren Mülleimer kann. Ich nutze den kurzen Stopp für meine Routenplanung. „Wer von euch muss denn jetzt wohin?“ Schweigen. Deutliches Schweigen. „Eh Leute, wo fahren wir zuerst hin? Ich meine außer Jona, der wird jetzt mal schnell seiner Mutter überantwortet zum gefälligen Argumenteaustausch.“ Ruhe. „Dürfen die alle bei uns schlafen, Mama?“, „Wassss?!“. „Wir können alle so nicht nach Hause und haben gesagt, dass wir bei Jona schlafen.“
Nach dem einzigen Stop bei der Mutter, die alles ins Rollen brachte, folgt bei mir zu Hause eine kurze, arbeitsreiche, bisweilen sehr lustige und lehrreiche Nacht zum Rosenmontag. Ob mein Sohn sich an die zwei Flaschen Bier gehalten hat oder ihn nur die Tatsache schützte, dass er mit zwei Stunden Sport täglich, bei Wind und Wetter, über ein beeindruckendes Ausmaß an Muskulatur und Kondition verfügt, die den Alkohol schnell abbaut, vermag ich nicht zu sagen. Ich hoffe ersteres und glaube an eine Mischung aus Beidem.
Das beeindruckende Ergebnis dieser Nacht, waren sechs frische Bettbezüge, vier gewechselte T-Shirts aus dem modebewussten Schrank meines Sohnes, ein Unfall beim Versuch das Klo zu erreichen, ein aufgeschlagener Fuß, nach Stolpern über den Bettkasten, der stark blutete und nach einem mütterlichen Verband schrie und ein Sohn, der am nächsten Tag zu mir sagte, dass zu viel Alkohol wohl auch irgendwie scheiße sei …